Kaiser Karl der Große (747-814), seine Familie und die Verbindung zum Kloster des Heiligen Leo bei St. Leon

Aus der Römerzeit wissen wir von drei römischen Gutshöfen, sogenannten „villae rusticae“, entlang der Kraich, innerhalb unserer Gemarkung; In den Weidplatzwiesen (heute St. Leoner See), im St. Leon-Roter Bruch und im Klosterbuckel (heute Golfplatz).
Römische Fundstücke auf der Gemarkung wie der „Götterstein“ (Votivstein der römischen Götter Herkules und Minerva) und der „Lar“ (Schutzgeist der Familie) sind Zeugen römischer Besiedlung

Der römische Bürger Lucius Antonius Maternus, Centurio der 24. römischen Kohorte (80 Mann), war mit seinen Mannen in Heidelberg-Neuenheim stationiert. Nach Ableistung seines 25 jährigen Militärdienstes um ca. 110/120 n.Ch. hat sich Maternus vermutlich auf einem der römischen Gutshöfe von St. Leon-Rot zur Ruhe gesetzt.

Es vergehen dunkle Jahrhunderte, bis im 7./8. Jahrhundert angelsächsische Mönche unsere Gegend christianisierten. Eine kleine Gruppe Adliger gründeten bald für Ihr Seelenheil eine kleine Kirche – sogenannte Eigenkirche – zum gemeinsamen Gebet.
Diese Stiftskirche (Chorherrenstift), bei oder in der Nähe des heutigen Ortes St. Leon, widmeten sie dem großen Papst und Kirchenlehrer Leo I. (440-461)

Kanoniker, oder auch Chorherren (Weltgeistliche) sind Kleriker und Mitglieder eines Kapitels, einer Ordenskirche (Kloster), die an der gemeinsamen Heiligen Messe mitwirken. Die einzelnen Kanoniker behalten jedoch ihr Privatvermögen, legen kein Gelübde ab und können jederzeit das Stift frei verlassen. Dem Stift steht ein Propst (Stiftsvorsteher) vor”

Sehr wahrscheinlich ist, dass das Kloster zum hl. Leo seinen Ursprung in einer Familienstiftung von Bischof Gebhard hat. Bischof Gebhard I. (847-880) war der 14. Bischof im Bistum Speyer, wozu auch damals der Ort St. Leon gehörte.

Gebhard I., war ein bedeutender Bischof aus der Zeit der Karolinger im fränkischen Reich. Seine Herkunft liegt im Ungewissen. Unstrittig ist jedoch, dass er aus einer adeligen, beim König hochangesehenen und reichen Familie stammt. Von Gebhard I. wissen wir, dass er 846 einen merowingischen Dombau in Speyer (vermutlich am Germansberg) eingeweiht hat. Er war Gesandter König Ludwig des Deutschen und nahm an verschiedenen Reichssynoden teil. Die Zeit des Episkopats Gebhards I. fällt in die Erwähnung des Klosters zum hl. Leo bei St. Leon im Jahre 853. Ob eine Verbindung des St. Germanstiftes in Speyer mit dem Kloster zum hl. Leo bei St. Leon bestand, ist nicht belegt, ist aber zu vermuten, weil bei der Schenkung im Testament der Erkanfrida sowohl die Domkirche zu Speyer als auch das Kloster zu St. Leon bedacht werden.

Der Standort des ehemaligen Klosters zum hl. Leo lässt sich noch nicht mit Sicherheit bestimmen. Alte Flurnamen wie „Klosterbuckel“ und „Mönchsberg“ deuten jedenfalls auf einen Standort in der Nähe des heutigen Ortes, wenn nicht im Ort St. Leon selbst hin.
Im Kraichgau, Anglachgau und Ufgau
(mittelalterliche Gaugrafschaften der Region) war im achten Jahrhundert die alemannisch-fränkische Adelsfamilie der Geroldinger (Geroldonen) reich begütert. Gerold von Anglachgau war Graf im Kraichgau und Anglachgau. Zu seinem und seiner Eltern Seelenheil schenkte er am 1. Juli 784 der Reichsabtei Kloster Lorsch umfangreiche Güter im Kraichgau, Anglachgau, Lobdengau und Ufgau. (z.B. in: Heidelberg-Bergheim, bei Plankstadt, bei Wiesloch, in Menzingen, Odenheim, Öwisheim, Heidelsheim, Helmsheim, Huttenheim, Rheinsheim  und Malsch. Codex Laureshamensis Nr. 1880 vom 1.07.784.u.a.)

Gerolf von Anglachgau (754-799)

Wer war Gerold (725-799)?

Die „Geroldinger“ – später nach Gerold genannt – waren eine fränkische Adelsfamilie aus der Zeit der Karolinger und gehörten zur Reichsaristokratie des achten Jahrhunderts. Gerold (* 725/730 † 799?) war ein vermögender Grundherr (heute: Magnat) aus dem Mittelrheingebiet. Der Familiensitz könnte Mainz gewesen sein. Im Auftrag der Karolingerfamilie sollte er die Integration Alemanniens ins Reich der Franken vorantreiben.
Die alemannischen Herzogtümer Bayern und Schwaben standen den fränkischen Hausmeiern in erbitterter Feindschaft gegenüber. Der Merowinger Karlmann unterwarf die aufständischen Alemannen und ließ 746 im „Blutgericht zu Cannstatt“ viele Stammesführer und die gesamte Führungsschicht festnehmen und hinrichten.

Gerold heiratete um 750 die alemannische hochadlige Herzogen- und Fürstentochter Imma. Ihre Eltern waren Hnabi von Alemannien und Hereswinda Gräfin von Anglachgau. Aus der Ehe wurde im Jahre 758 Hildegard geboren. Mit nur 13 Jahren wurde Hildegard, Gräfin von Anglachgau und Vinschgau/Vintzgau im Jahre 772 die dritte von fünf Ehefrauen Karls des Großen. Ihr Vater Gerold hatte die Grafenwürde von: Kraichgau, Lobdengau und später auch Vinschgau.

Die Grafschaft und Grafenwürde Vintzgau oder Vinschgau.
(Es gibt verschiedene Schreibweisen)
Die Deutung der Grafenbezeichnung und Lokalisierung „von Vintzgau“ war für den Autor mit einigen Fragezeichen verbunden. Aus der englischen genealogischen Literatur wurde der Anglachgau und Kraichgau als alte Bezeichnung für „Vintzgouw“ verwendet. Auch die historische Kleinlandschaft um Pforzheim, der „Pfinzgau“ (aus der Flussbezeichnung Pfinz) wurde in Erwägung gezogen. Von Anfang ausgeschlossen war: Die Ableitung von „Vinz = alte Weinrebsorte, aus dem lateinischen „vincere“ für „siegen – der Siegreiche“ und die Ableitung aus dem Orden der „Vinzentiner = Lazaristen.“
Noch etwas schwieriger war es mit dem „Linzgau“. Der im frühen Mittelalter dort ansässige alemannische Volksstamm nannte sich „Lentienser“. Das heutige Linzgau lokalisiert sich auf dem Gebiet nördlich des Bodensees zwischen Donau und Iller. Die Bewohner nennen sich heute „Linzgauer“. Es war anfänglich zu vermuten, dass die Alemannin Imma, die Ehefrau von Gerold und Mutter von Hildegard familiäre und grafschaftliche Verbindungen (Bertholdsbaar) zum Linzgau hatte, was jedoch nicht zu beweisen war.

Doch endlich war der Zusammenhang erkennbar und eindeutig: Aus der ehemaligen römischen Provinz Raetia Prima entstand gebietsmäßig das Bistum Chur, das sogenannte Churrätien. Churrätien umfasste das heutige Graubünden (Kanton im Osten der Schweiz mit der Hauptstadt Chur) und den Vinschgau (Vintzgau, Vinsgowe) im heutigen Südtirol (Etschtal) mit dem Hauptort Schlanders.
Das alträtische Vinschgau wurde unter Karl dem Großen zu einer fränkischen Grafschaft. Obwohl formell zum fränkischen Reich gehörig, war die Grafschaft weitgehend selbständig. Es gelang Karl dem Großen den Vinschgau enger in die Zentralverwaltung einzubinden. Es kam folglich zur Einführung der Grafschaftsverfassung unter fränkischen Grafen.
Für die Grafenwürde im Vintzgau war keiner besser geeignet als Gerold, der Vater von Hildegard, bevorzugter „Bannerträger“ des Kaisers Karl und berühmt als tüchtiger Helfer mit seinen ruhmreichen Feldzügen gegen die Sachsen und Slawen. 
So hat Gerold als enger Berater von Karl dem Großen mit seiner Heiratspolitik mit der Alemannentochter Imma, als „Graf im Vintzgau“ zur Befriedung im fränkischen Reich beigetragen.

Hildegard von Kraichgau, Anglachgau und Vintzgau.

Aus der Ehe Gerolds von Kraichgau, Anglachgau und Vintzgau mit Imma gingen vermutlich acht Kinder hervor. 758 wurde als drittes Kind Hildegard geboren.
Noch jugendlich, lernte Karl über seinen Getreuen Gerold dessen Tochter kennen und lieben. Karl der Große heiratete in dritter Ehe 772 Hildegard, sie war gerade 13 Jahre alt. Hildegard schenkte Karl neun Kinder und verstarb am 30.04.783.

Nach drei Söhnen wurde aus der Ehe 779 Bertha geboren.

Bertha hatte eine uneheliche Beziehung mit Angilbert, einem Berater und Hofkaplan am Hofe Karl des Großen. Aus dieser Beziehung gingen zwei Kinder hervor.
Karl der Große legalisierte das Zusammenleben von Bertha mit Angilbert als sogenannte Friedelehe. Sie war eine Form der Ehe im germanischen Recht.

Abtei Saint-Riquier, 17. Jahrhundert

Nithard, der Jüngere, geboren um 800 war ein wichtiges Mitglied der karolingischen Adelsfamilie. Unter Anderem sollte er entlang des Flusses „Somme“ und der Küste (französische Antlantikküste) das Hinterland gegen Überfälle der Wikinger verteidigen.
Nithard, auch „Nithard der Chroniker“ genannt, begann auf Bitten Karl des II. (Karl der Kahle) von 841 bis 843 die Geschichte der damaligen Zeit in vier Büchern aufzuschreiben. 845 ist Nithard seinem Vater als Laienabt im Kloster in Saint-Riquier nachgefolgt.

Die Ehe Nithards mit Erkanfrida Gräfin von Ponthieu.

Erkanfrida Gräfin von Ponthieu, geboren um 793, aus der Region Picardie im Norden Frankreichs, war die Tochter des Burggrafen von Helgaud de Montreuil I.
Ponthieu war bereits im 7. Jahrhundert eine fränkische Grafschaft. Die Region Picardie gehörte nach dem Vertrag von Verdun im Jahre 843 zum Reich Lothar I. und umfasste das Gebiet Unterlothringen. Die junge Gräfin Erkanfrida heiratete den fränkischen Grafen und Geschichtsschreiber Nithard vom Hofe Karl des Großen. Sie gehörten zur Führungsschicht der Karolinger. Nithard und seine Ehefrau lebten teilweise am kaiserlichen Hof und in der Picardie. Nithard wurde vermutlich 845 im Kampf gegen die Wikinger getötet. Die Chronik von der Abtei St. Requier berichtet, dass Nithard neben seinem Vater im dortigen Kloster beerdigt wurde.

Das Testament der Erkanfrida.

Nach dem Tod ihres Ehemannes Nithard trat die Gräfin Erkanfrida in ein nicht benanntes Kloster ein. Ob es ein Benediktinerinnen- oder   Kanonissenstift war bleibt dahingestellt. Sie nennt sich selbst eine „Gott Geweihte“ (deo sacrata).
Sicher ist jedenfalls, dass die Ordensregel mit Ablegung des Gelübdes kein Eigentumsrecht mehr im Kloster vorsah. So musste Erkanfrida über ihren Nachlass verfügen. Die klösterlichen Regeln besagten jedoch, dass sie ihr Eigentumsrecht bewahren, jedoch nicht mehr darüber verfügen und die Verwaltung ihrer Güter nicht mehr selbst führen kann.

Erkanfrida verfügte, dass ihr  Vermögen und die Besitzungen, die sie auch selbst in die Ehe gebracht hat, bis zu ihrem Tod treuhänderisch verwaltet und danach testamentarisch verteilt werden sollen. Dort wird verfügt und bestätigt, dass

Berühmte Abteien und Domstifte jeweils 100 Schilling, unbedeutende je 50 oder 33 Schillinge erhalten sollen.”
Neben z. B. den Klöstern und Abteien Lorsch, Weißenburg, Klingenmünster und dem Domstift Speyer wird explizit

„ ad sanctum Leonem similiter solidos C“ genannt, was übersetzt heißt :„Ebenso zu St. Leo 100 Solidos“ (Schilling)

Für die Erben des Nachlasses von Erkanfrida war die Ablösung des Erbteils ein beachtliches Vermögen. Das Kloster oder Chorherrenstift zum hl. Leo kam somit, nach heutigem Wert, ungefähr in den Genuss von € 40 000.- .

Die Verbindungsline von Karl dem Großen bis zum Kloster des Heiligen Leo bei St. Leon verläuft also wie folgt:

  • Von Karl dem Großen, verheiratet mit der Alemannin Hildegard vom Kraichgau/Vintzgau.
  • über deren Tochter Bertha, in Friedelehe mit Angilbert.
  • über deren Sohn Nithard, verheiratet mit Erkanfrida (Nithard im Kampf gefallen, Ehe kinderlos).
  • zu Erkanfridas Testament zugunsten von St. Leo, dem Kloster und Chorherrenstift bei St. Leon, aus dem später sich der Ort St. Leon bildete. 

Autor Willi Steger

Verwendete Literatur:

  • Jarnut Jörg. Monographien zur Geschichte des Mittelalters – Agilofingerstudien; Anton Hirsemann Stuttgart 1986
  • Alter Willi. Graf Gerold und Frau Imma in: Mitteilungen des historischen Vereins der Pfalz ; 94. Band Speyer 1996 Seite 7 ff.
  • Alter Willi. Gerold und seine Söhne etc. in: Mitteilungen des historischen Vereisn der Pfalz ; 98. Band Speyer 2000 Seite 83 ff
  • Falck Ludwig. Das Mainzer Zunftwesen im Mittelalter in: Oberrheinische Studien Band III.; Hrsg. Alfons Schäfer, Druckerei Essen Bretten 1975 Seite 267 ff.
  • Metz Friedrich. Die Landschaft am Nordrand des Schwarzwaldes in: Badische Heimat; 12. Jahrgang 1925 Verlag G.Braun Karlsruhe.
  • Döbler Hansferdinand. Die Germanen – Legende und Wirklichkeit.; Verlag Bertelsmann 2000
  • Remling Franz Xaver. Urkundenbuch zur Geschichte der Bischöfe zu Speyer Band I.; Mainz 1852 Scientia Verlag Aalen 1970 Seite 5 ff.
  • Steger Willi. Das Kloster und Chorherrenstift zum hl. Leo. in: https://stleoner.de/
  • Imm Günther Rastatt. Von badischen Gauen und deren Namen in: Badische Heimat; 49. Band 1969 Verlag G. Braun Karlsruhe.
  • https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Agilolfinger
  • https://de.wikipedia.org/wiki/Geroldonen
  • Borgolte Michael. Die Grafen Alemanniens in merowinger und karolinger Zeit. Band 2; Thorbecke Verlag Sigmaringen 1986.
  • Borgolte Michael. Geschichte der Grafschaften Alemanniens in fränkischer Zeit.; Sonderband 31. Thorbecke Verlag Sigmaringen 1984.
  • Kaiser Reinhold in Historisches Lexikon der Schweiz. Frankenreich – Version vom 12.05.2011.
  • Patze Hans MDZ München – Blätter für deutsche Landesgeschichte 112. Jahrgang 1976; Agilofinger – die alemannischen Fürsten.
  • Schultze Walter. Die Gaugrafschaften des alamannischen Badens. Verlag Strecker und Moser; Stuttgart 1896
  • Schwarz Ernst. Germanische Stammeskunde zwischen den Wissenschaften.; Thorbecke Verlag Sigmaringen 1967
  • Stälin C. Friedrich. Wirtembergische Geschichte 1. Theil – von der Urzeit bis 1080; Uni. Freiburg Diglit/stälin 1841
  • Doll L.Anton/Engels Renate, Palatina Sacra Band 1 und 2, Selbstverlag der Gesellschaft für mittelrheinische Kirchengeschichte Mainz 2005
  • uva.
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