Das Erste Rathaus in St. Leon von 1494

 

Als Eigentum „verlehnt“

St. Leon war bereits mit der Schenkung des Lußhardtwaldes 1056 durch Kaiser Heinrich III. an den Bischof zu Speyer in weltlicher und kirchlicher Hinsicht als Eigentum verlehnt. Es gehörte zum „Hochstift Speyer“, dem Herrschaftsgebiet des Bischofs. Ende des 15., Anfang des 16. Jahrhunderts war eine kurze Zeit des Friedens im Lande. Der Ort St. Leon hatte ca. 330 Einwohner, als im Jahre 1494 der Beschluss gefasst wurde, für die Bürger ein Rathaus zu bauen.

Zu dieser Zeit wurde das Heilige Römische Reich Deutscher Nation von dem Habsburger Kaiser Maximilian I. regiert. Wie in vielen anderen Orten im Bruhrain, Kraichgau und in der Vorderpfalz – dem Gebiet des Hochstifts – war der 65. Bischof zu Speyer, Ludwig Freiherr von Helmstädt (1478–1504) unser oberster Landesherr.

Aus der ältesten Archivunterlage der Gemeinde St. Leon-Rot A 415 aus dem Jahr 1494 bekommt der Historiker Auskunft über das „Ausgabgeld“ in Gulden und Kreuzer aus dem „Verzeichnis und Anfang des Rathausbaus zu St. Leon anno 94“ (1494). Warum nur diese Akte der Gemeinde St. Leon-Rot den Dreißigjährigen Krieg überlebte, bleibt ein Rätsel. Bemerkenswert ist darüber hinaus, dass 1734 während des Polnischen Erbfolgekrieges auch noch die Pfarrakten bei Plünderung des Dorfes St. Leon durch französische Truppen verloren gingen.

 

Ein Platz für das Rathaus

Das Rathaus sollte zentral im Ort gelegen sein. Es wurde der Platz vor der kleinen Kirche ausgewählt. Sie war dem Hl. Leo dem Großen (Pontifikat 440-461) geweiht.
Zum Rathausbau 1494 taten sich Bürgermeister Zimmermann (damals Schultheiß genannt), Gemeinderäte (damals Angehörige des Gerichts) und der Vogt (Fauth, höchster Verwaltungsbeamter des Bischof vor Ort) vom Bruhrain in Kislau zusammen und entwarfen einen Plan (Riss). Der Bischof von Speyer als Grundherr wurde befragt und seine Zustimmung wurde über seinen Landschreiber bescheinigt. Als erstes musste der Waldvogt, der damals seinen Sitz in Forst hatte, befragt werden, denn das Holz und die Verarbeitung waren von großer Bedeutung. Erst 1493 war durch den Bischof eine neue Waldordnung erlassen worden, weil sich der Wald in einem schlechten Zustand befand. In dieser vierten Waldordnung für die Lußhardt wurden die Rechte und Pflichten der Anrainergemeinden festgelegt.

 

Bau des Rathauses

Die Zimmerleute richteten am Standort des neu zu erstellenden Rathauses ihren Werkplatz ein und begannen mit der Zuschneidung des Holzes. Der Unterbau bzw. das Erdgeschoss des neuen Rathauses wurde mit Steinen aus Malsch gebaut. Zugeschnittene Bretter und Seile wurden aus Weiher geliefert, größere Steine, z. B. für den Treppenbau, aus Odenheim beschafft.

Hinderungsgrund für den Bau des Rathauses war die Kirchenmauer der nahe gelegenen Kirche. Das Domkapitel von Speyer genehmigte ihren Abriss, um Platz für das neue Rathaus zu schaffen. Maurer aus Rotenberg rissen die Kirchenmauer ab. Ein Maurer aus Philippsburg errichtete eine neue Mauer am Rathaus.

 

Ein Rathaus im Fachwerkstil

Das Rathaus wurde in Fachwerkbauweise errichtet, d. h. die Grundmauern aus Stein und der Überbau in fränkischem Fachwerk. Die umliegenden Gemeinden lieferten üblicherweise zum großen Teil das Material. Die Rathausstaffel wurde in Stettfeld gefertigt und angeliefert. Die Maurer machten ihren Mörtel in besonders hergestellten Holzkübeln an. Die Firma Ziegler aus Neckargemünd lieferte den Kalk dazu. Auf den Kalk waren kurpfälzische Zölle (auch Geleitsrechte) zu entrichten.

Der steinerne Türbogen der Eingangstür wurde ebenfalls in Stettfeld angefertigt. Die Maurer aus Stettfeld lieferten dazu verzierte Steine. Das aus dem Lußhardtwald herbeigeschaffte und zubereitete Holz wurde mehrmals gerußt, danach geölt und dadurch lagerfähig gemacht. Nicht zu vergessen war das Gefängnis, ein Raum im Erdgeschoss. Die Gefängnistür lieferte ein Schreiner aus Rauenberg. Die Beschläge an den Türen besorgte ein Schlosser aus Philippsburg – damals noch Udenheim genannt. Das Holz an der Giebelseite des neuen Rathauses war mit Ornamenten verziert. Für den Ausbau des Rathauses wurden auch gebrannte Ziegelsteine (Backsteine) aus Odenheim und Wiesloch verwendet. Hölzer aus Udenheim, Speyer und Bruchsal wurden dazu benötigt. Fuhrleute wurden bezahlt, um die Waren herbeizuschaffen.

Die Gemeinde hatte für den Neubau des Rathauses einen Zins aufgenommen und dies mit einem „Gültbrief“ (Schuldbrief) vom Landschreiber protokollieren lassen. Ein Kessler hatte die kupfernen Dachrinnen gefertigt und ein Maler aus Walldorf das Rathaus innen und außen angestrichen. Ein Ziegler aus Heidelberg lieferte den Weißkalk, für den ebenfalls kurpfälzischer Zoll gezahlt werden musste.

 

Ein Rathaus mit Schieferdach

Das Dach des Rathauses wurde mit Schiefer gedeckt. Der Schiefer kam aus Speyer, worauf auch wieder Zölle gezahlt werden mussten. Die Zimmerleute fertigten zum Schutz gegen Regen im Eingang zum Rathaus ein Wetterdach. Ein Glaser und Schlosser aus Bruchsal lieferten die Fenster und die dazugehörigen Schlösser, ebenfalls die Beschläge an den Türen. Zwei eiserne Brennöfen wurden aus Speyer beschafft und durch einen Maurer aus Stettfeld und dem Hafner (südd. Ofensetzer) aus Kronau aufgesetzt. Farben, Leim und Firnis besorgte Niklaus Zweng aus Heidelberg, Tische und Schränke wurden vom ortsansässigen Schreiner angefertigt. Den letzten Anstrich gab ein Tüncher aus Walldorf. Die Arbeitsleistung des Tünchers bezahlte man u. a. mit Wein, Korn und anderen Naturalien.

 

Ein Rathaus mit technischen Neuerungen

Dieser Bau des ersten Rathauses zu St. Leon war für die Bevölkerung des Ortes ein großes Ereignis. Viele Fuhrleute mit ihren Pferde- oder Kuhgespannen waren einige Zeit beschäftigt und hatten ein zusätzliches Einkommen. Viele technische Neuerungen wie Glasfenster, Schieferziegel, gebrannte Backsteine und kupferne Dachrinnen waren zu bestaunen. Noch bestanden im ausgehenden 15. Jahrhundert bei vielen kleinbäuerlichen Häusern und Hütten die Wände aus Lehmgeflecht. Die Hausdächer waren mit Stroh gedeckt und die Fensteröffnungen mit Ölpapier oder Tüchern verhängt. Elektrizität war noch lange nicht erfunden.

Abschließend will der Autor noch bemerken, dass es sich bei dem ersten Rathaus von St. Leon nicht um das uns aus Bildern bekannte Rathaus vor der barocken Kirche handelt. Dieses vermutlich im 17. Jahrhundert erbaute Rathaus mit der erst später (1719) angebrachten überdachten Freitreppe war bis zu seinem Abriss 1913 ein markantes Zeichen unserer Gemeinde. Leider gibt es vom ersten Rathaus weder zeitgenössische Abbildungen noch Zeichnungen, so dass es dem Leser überlassen bleibt, wie er sich das erste Rathaus unserer Gemeinde vorstellen kann.

Autor: Willi Steger

 

Literatur- und Quellenhinweise:

  • Gemeindearchiv St. Leon-Rot  A 415, A 416, B 79
  • St. Leon-Rot – Damals und heute. Gemeinde St. Leon-Rot  (Hrsg.), St. Leon-Rot 1984
  • St. Leon-Rot – Das Heimatbuch. Gemeinde St. Leon-Rot  (Hrsg.), St. Leon-Rot 2004
  • Leopold Feigenbutz: Der Kraichgau und seine Orte. Magstadt 1976, Reprintausgabe der Originalaufl. Bretten 1878
  • Hans-Peter Post und Klaus Tropf: St. Leon – ein Bilderbogen aus alter Zeit. Bezirkssparkasse Wiesloch/St. Leon (Hrsg.), Wiesloch 1980
  • Xaver Remling: Geschichte der Bischöfe von Speyer, Band 1, Pirmasens 1975, unveränd. Nachdruck d. 1. Aufl. Mainz 1852; Band 2, Pirmasens 1975, unveränd. Nachdruck der 1. Aufl. Mainz 1854
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