Ein Original – Dä Linus vun Sand Lee

Klevenz Linus mit seinem Eselgespann
Linus Klevenz (1887-1964) war von Beruf Gärtner. Er übte diesen schweren Beruf nur selten aus. Die damit verbundenen körperlichen Anstrengungen waren ihm zu beschwerlich. Seine Vorliebe galt daher mehr den „kaufmännischen“ Berufen, so war er Reitschulmann, Eselzüchter, Viehhändler, Altpapier- und Schrotthändler. In den 20er Jahren, nach dem ersten Weltkrieg, besaß er ein kleines Karussell mit dem er in der näheren Umgebung von Fest zu Fest zog. Übrigens wurde dieses Karussell von Buben im Kreis herumbewegt. Seine wirklich große Nummer war jedoch „Die Bremer Stadtmusikanten“. Die Idee hierzu stammte von ihm selbst und das Wägelchen baute ihm Hermann Hecker, der Großvater des heutigen „Hecker-Schreiners“. Mit seinen beiden Söhnen Konrad und Josef, nebst einem Neffen namens Karl, unternahm Linus mehrjährige Fahrten in den dreißiger Jahren. Er kam durch ganz Deutschland, nach Österreich, Frankreich und bis weit in den Balkan. Eine große Leistung, wenn man bedenkt, dass  sein Fahrzeug nur zwei „ES“, nämlich zwei Eselstärken, zur Verfügung hatte. Schon zu Lebzeiten wurde Linus durch seine vielen kleinen Betrügereien in St. Leon und weit darüber hinaus geradezu berühmt. Von den vielen „Stückchen“, die er gedreht hat, können wir nur eine kleine Auswahl wiedergeben. Er selbst würzte seine Taten stets mit einer gehörigen Prise Humor. Einst hatte er einem Ketscher Bauern einen alten Esel angedreht, der schon bald einging. Als nun der Geprellte nach St. Leon kam und Schadensersatz forderte, erwiderte Linus nur trocken: „Bei mir hott er des noch net g’macht!“. Und bei seinen Mitbürgern wunderte sich Linus, was dem „Ketscher Hewwl“ wohl einfiel.
Linus in Heidelberg
Der Leib- und Magenspruch unseres Dorforiginals war: „Wen ich hengga loss, der kann’s vertrage“, will sagen: wenn ich meine Schulden nicht bezahle, dem tut’s nicht weh. Deshalb hatte Linus auch ständig Ärger mit Polizei und Gericht. Eines Tages war der Gerichtsvollzieher bei ihm erschienen, um etwas zu pfänden. Linus wurde jedoch nicht etwa verlegen, sondern begrüßte den Herren freundlich mit den Worten „Do nemmä Sie Platz, Herr Gerichtsvollzieher, mehner kennä Sie bei mir doch net nemmä“. Nun, der Beamte klärte daraufhin den Linus auf, dass er ihm wegen einer Steuerschuld das Schlachtreife Schwein pfänden werde und klebte den Kuckuck an die Stalltür. Als der Gerichtsvollzieher einige Tage darauf erschien, um endgültig das Tier abzuholen, war der Stall leer. Linus hatte mal wieder zugeschlagen und das Tier einfach geschlachtet. Auf die Fragen des Gerichtsvollziehers erwiderte der Spitzbub: „ich hebb g’moant, Sie wollte groad die Stalldür pännä“. Um eine schlagfertige Antwort war er nie verlegen. Bei einer Fahrt mit dem Esel und Fuhrwerk durch Rot sprach ihn ein Roter Schlaumeier vorwitzig an: „Wo wollt dann ihr zwee no?“  Linus bemerkte dazu nur trocken: „ Äm dritte vorbei!“.
Die Bremer Stadtmusikanten
Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs, als man überall nur auf Lebensmittelkarten schlachten durfte, half Linus sich und vielen St. Leonern mit einem Trick. Wollte ein Bauer schlachten, so musste er vorher sein Schwein wiegen lassen. Da half nun Linus mit seinem sogenannten „Wiegesäule“ aus. Dieses rappeldürre Schweinchen wurde also zur Waage beim Rathaus gekarrt, während daheim die fette Sau geschlachtet wurde. Auf diese Weise kam er zu einem guten Verdienst und die St. Leoner zu größeren Fleischrationen. Damit der Schwindel nicht gleich herauskam, veränderte Linus in der Regel das Gewicht seines Tieres mit ein paar zugelegten Backsteinen. Nun ja, bei einer Kontrolle an der Waage fielen die Backsteine aus dem Saukarren heraus und der Betrug flog auf. Wegen diesem und verschiedener weiterer Delikte, kam Linus für einige Zeit in sogenannte „Schutzhaft“, d.h. in ein Konzentrationslager.

Anmerkung der Redaktion:
Auf dem Land – auch in St. Leon-Rot – war das „Schwarzschlachten“ weit verbreitet und natürlich auch verboten (Verbrechen nach §1 Abs.1 der Kriegswirtschaftsordnung vom 04.09.1939). Nach damaligen Tageszeitungsinformationen war St. Leon ein richtiges „Schwarzschlachternetz“. Einige St. Leoner kamen deshalb vor das Sondergericht in Mannheim und wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt.

Nach 1945, als die Alliierten Deutschland besetzt hielten, war er wieder am Handeln mit den Militärbehörden. Ausrangierte Kriegsbestände und Schieberwaren aller Art türmten sich in seinem Hof und hinter dem Haus am Ende der Liegelstraße. Vieles wurde ihm dort geklaut. Vermutlich wusste der Alte mit dem weißen Knebelbart nicht einmal selbst genau, was er alles besaß.

Einmal bekam er von den Amerikanern eine Menge Hakenkreuzfahnen geschenkt, mit der Auflage, sie vor Weiterverwendung umzufärben. Linus hatte jedoch nichts Besseres zu tun, als damit im Winter seine gestapelten Tabakspäckchen – er baute selbst Tabak an –, zu bedecken, natürlich auch ohne nur eine der Fahnen gefärbt zu haben. Da muss es in seiner Scheune wie bei einem Staatsbegräbnis zu Hitlers Zeiten ausgesehen haben.

Ja, so war sein Leben, möchte man am Ende sagen. Bund und aufregend war es und noch mancher alte St. Leoner erinnert sich an das geflügelte Wort über ihn: „Er hott alles g’schafft, groad ä heilichi Mess hott er net g’lese“.

 

Literatur:
Dr. Hans-Peter Post † in: St. Leon-Rot Das Heimatbuch 2004 – Damals und heute
Bearbeitet: F. Stoll Arbeitskreis Heimatgeschichte