Hofweisthum und Ritterschaft von S. Leon und Roth von 1289

Die Originalurkunde „Hofweisthum von S. Leon und Roth von 1289“ mit ihren drei Siegeln öffnet den Blick in die mittelalterlichen Aufzeichnungen lokaler Rechte, des sogenannten „guten alten Rechts“.

In der vorliegenden Urkunde bestätigen der Archidiakon Sigibodo (Siboto) Gerichtsvikar und Stellvertreter des Bischofs der alten Diözese Speyer, der Abt des Klosters Maulbronn und der Ritter Albrecht (Alberti) von Sancto Leone die Orts,- Feld- und Waldrechte in St. Leon und Rot. 

Drei Siegel beglaubigen die Urkunde. Den Heimatforschern stellt sich die Frage, ob ein Zusammenhang zwischen dem Widderkopf auf dem Siegel des Ritters Albrecht von Sancto Leone und einem in der Marktstraße gefundenen Widderkopf-Torschlussstein besteht. Dann wäre vermutlich der Fundort des „Widderkopfes“ als Torschlussstein auch der Sitz der Adelsfamilie „Albrecht (Alberti) von Sancto Leone“ im 13. Jahrhundert.

Begriffserklärung Weistümer (Hofweisthümer):

Weistümer sind Aufzeichnungen der ländliche Rechtsquellen und lokaler Rechte aus dem Mittelalter. Es handelt sich um „gewiesenes“ bäuerliches, althergebrachtes und grundherrliches Recht für den örtlichen Bereich.
Die Bauern, meist noch des Lesens und Schreibens unkundig, waren die Träger der mündlichen Überlieferungen. Ihre „Weisung“ bzw. überliefertes Wissen besaß bindende Kraft sowohl für die Untertanen als auch für die Herrschaft.
Die Weistümer registrierten die Zinsen, Steuern und die Lagerbücher auf. Sie berichteten über den Anbau von Feldfrüchten, herrschaftlichen Abgaben und Dienste, über Maße und Gewichte und auch über die Waldnutzung.
Im ursprünglichen Sinne bedeutet „Weisthum“ die kollektive Aussage rechtskundiger Männer über das bestehende Recht. Dementsprechend entstanden im 13. Jahrhundert im alten Bistum Speyer die „Hofweisthümer“, so auch in St. Leon und Rot im Jahre 1289.

Urkunde und Siegel

Originalurkunde „Hofweisthum von S. Leon und Roth 1289“ (GLA Karlsruhe 42/4846)

Übersetzung der Urkunde (Auszug) aus:
Mone Franz Joseph – Weisthümer 13. bis 16. Jahrhundert
In ZGO 1 Seite 3 ff. (Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins)


… und noch 11 weitere Punkte.

Die noch gut erhaltene Urkunde mit drei Siegeln sagt über die „Siegler“ folgendes aus:

Das linke Siegel

Das parabolische Siegel Sigibodo’s von Lichtenberg (auch: Siboto) trägt die Umschrift: „s. SIBOTONIS …ECCLES. S. WIDONIS: SPIR.“ .

Sigibodo II. von Lichtenberg (im Elsass) war 1289 Domherr und Propst des Stiftes (Kollegialstifts/Archidiakonats) St. Guido * (auch: Wido) zu Speyer. Er führte die Jurisdiktion (ziviles Kirchenrecht) über eines der drei rechtsrheinischen Archidiakonate aus, wozu auch das damalige Landkapitel Bruchsal und die Orte St. Leon und Rot gehörte. Diese Vollmacht  berechtigte ihn als „Offizial“ ** oder Gerichtsvikar zum Führen eines eigenen Siegels und damit zur Ausübung der Rechtsgeschäfte innerhalb des Bistums Speyer. Die Offiziale waren die Stellvertreter der Bischöfe und wurden in der Regel die Nachfolger derselben.

Nach dem Tod des Bischof Friedrich von Bolanden wurde Sigibodo vom Domkapitel zum 52. Bischof von Speyer (1302-1314) gewählt.

* Das alte Bistum Speyer war in vier Archidiakonate eingeteilt. Der Name des Archidiakonats/Stiftes St. Guido kommt von dem katholischen Heiligen „Guido von Pomposa“. Guido (eigentlich Wido) geb. um 970, bei Ravenna † 1046 war Benediktinermönch und Abt im Kloster Pomposa (Italien). Die Überführung der Reliquien Guidos nach Speyer 1047 war möglicherweise der Anlass für die Gründung und Namensgebung des Stifts.
An eine schreckliche Geschichte erinnert auch die Festschrift zum 700-jährigen Jubiläum des St. Magdalenenklosters von 1928. Hier berichtet die Chronik, dass während des Napoleonischen Feldzugs 1813 „die Überreste (Reliquien) des heiligen Abtes Guido von den Franzosen in der Guidokirche entweiht und zerstreut wurden, aber von Schwester Amanda Tirolf  und Stephana Bader (vom Kloster St. Magdalena) gesammelt und in unserer Kirche zur öffentlichen Verehrung auf dem Josephsalter ausgesetzt worden war“.

** In der Bischofsgeschichte des Mittelalters bietet sich ein Vergleich zu heute an:
Der heutige Erzbischof von Freiburg Stephan Burger war vor seiner Wahl zum Erzbischof seit 2007 ebenfalls „Offizial“, Gerichtsvikar und Domkapitular, bevor er 2014 vom Papst zum Erzbischof von Freiburg geweiht wurde. Während seiner Zeit als Priester der Pfarrgemeinde St. Mauritius in Rot studierte er von 2004 bis 2006 kanonisches Recht in Münster.

Das mittlere Siegel

In der Mitte der Urkunde ist das Siegel des Maulbronner Abtes (mit Abtstab) zu erkennen. Auf dem leicht beschädigten Siegel ist noch gut die Umschrift „MULENBRUNEN“ erhalten. Es handelt sich hier höchstwahrscheinlich um das Siegel Rudolfs von Neuburg (1287-1292), Abt der Zisterzienserabtei Maulbronn. Das Kloster Neuburg im Elsass (Novi Castri) war das Mutterkloster der Abtei Maulbronn. Es liegt deshalb nahe, dass Abt Rudolf der Filiale Maulbronn zeitweise vorstand.

Aufgrund der Gutshöfe und Ländereien, die das Kloster Maulbronn in St. Leon in Grundbesitz hatte, war es natürlich zwingend, dass der Abt von Maulbronn bei den Rechtsgeschäften anwesend war und mitsiegelte.

 

Das rechte Siegel

Das rechte Siegel des Ritters Albert (Albrecht, Alberti) von St. Leon ist für den Ort St. Leon und seinem Ortsadel von großer Bedeutung. (Siehe Beitrag „Adel in St. Leon“)

Das dreieckige Rittersiegel ist gut erhalten und hat einen Widderkopf zum Wappen mit der Umschrift „† s.ALBERTI DE SCO LEONE“.

(Beschreibung der Siegel teilweise aus GLA Karlsruhe- Die Deutung als Widderkopf ist bezeugt)

 

Es gab im 13. Jahrhundert immer wieder Streitigkeiten zwischen den Mönchen von Maulbronn, dem Adel von St. Leon, dem Domstift zu Speyer und nicht weniger mit der Kurpfalz (Burg Wersau) im angrenzenden Reilingen. Ritter Albert von St. Leon hatte als Vermittler eine herausgehobene Position. Lebte er damals noch auf der Burg (Mottenburg), oder im zentralen Mittelpunkt des Ortes bei der Kirche? Wir wissen es nicht. Zwar wurde die Burg am Ende des 14. Jahrhunderts zerstört, ob sie jedoch so lange bewohnt war, ist zweifelhaft.

Der hochmittelalterlichen Adel in seinen Adelsburgen oder Adelssitzen in Südwestdeutschland war – wie in jedem Dorf – aufs Allerengste mit der darin wohnenden Bevölkerung verbunden. Es gab fast in jedem Ort einen Ortsadel. Jeder adlige Herr oder Ritter hatte in seinem Leben eine doppelte Funktion: Er war teilweise bäuerlicher Grundherr aber auch ein Kämpfer, der sein Dorf schützte, seine Fehden ausfocht und im Dienst seines Herrn stand. Der Herr war in unserem Falle der Fürstbischof von Speyer. Der Bauer – frei oder unfrei ­ – leistete dafür seine Abgaben in Form von Naturalien, bzw. später in Bargeld.

Ein Torschlussstein mit Widderkopf, gefunden in der Marktstraße.

Neueste Erkenntnisse von Mitgliedern des Arbeitskreises Heimatgeschichte St. Leon-Rot könnten darauf schließen, dass der spätere Sitz des Adels – nach der Zerstörung der Burg im 13./14. Jahrhundert – in der mittelalterlichen Ortsmitte war.
Uwe Mertel stellt der Gemeinde leihweise einen Torschlussstein zur Verfügung, den er – vergraben in der Hofeinfahrt – Markstraße 47 (ehem. Hauptstr.) gefunden hat. (Als Torschlussstein wird der keilförmige Stein am höchsten Punkt eines Gewölbes oder Bogens bezeichnet.) Im Auftrag der Gemeindeverwaltung wurde der Schlussstein von Steinmetzmeister Bruno Stegmüller gereinigt und in den Originalzustand versetzt.

Widderkopf Orginal
Widderkopf gereinigt
Widderkopf gespiegelt

Ein Widderkopf mit menschlichen Gesichtszügen

Bei der Auffindung des Torschlusssteines hat man festgestellt, dass die Hälfte der bildlichen Plastik abgeschlagen war. Desgleichen befanden sich im Originalzustand noch Vertiefungen zur Befestigung von Eisenankern (früher auch „Schlauder“ genannt). Computertechnisch aufbereitet und bildhaft gespiegelt durch Franz Stoll vom Arbeitskreis Heimatgeschichte, erkennt man jetzt einen Widderkopf mit menschlichen Gesichtszügen.

Besteht ein Zusammenhang zwischen dem Siegel des Ritters Alberti de Sancto Leone und dem Torschlussstein aus der ehem. Hauptstraße?
War der Fundort des „Widderkopfes“ als Torschlussstein auch der Sitz der Adelsfamilie „Albrecht (Alberti) von Sancto Leone“ im 13. Jahrhundert?

Zur Beantwortung dieser Frage ein Erklärungsversuch:
Wer aufmerksam durch die Marktstraße (ehem. Hauptstraße) in St. Leon geht, erblickt im nahen Einzugsbereich der Kirche an den Torbogen verschiedener Häuser Fratzensteine oder auch Neidsteine, meist als Torschlusssteine. Fratzensteine oder Neidsteine gehen auf alten heidnischen Volksglauben zurück. Sie sollen den bösen Blick des Neiders, der an dem Haus vorbeigeht, abwehren. (Bernd Röcker in Kraichgau Heft 16 Seite 349 ff)
Im 17./18 Jahrhundert schmückten die ortsansässigen Handwerker auch die Torschlusssteine oder Giebelseiten mit ihren Zunftzeichen, wie z.B. Bäcker, Küfer, Schlosser, Metzger usw.

Fratzen-/Neidstein sogenannte „Blecker" / Marktstrasse 23
Fratzen-/Neidstein sogenannte „Blecker" / Marktstrasse 25
Zunftzeichen für Schmied/Hufschmied / Marktstrasse 53
Zunftzeichen der Bäcker / Marktstrasse 33 - Gasthaus zum Hirsch

Der Widder als Adel- und Personifizierungssymbol

Der Widder war im Mittelalter in vielen Religionen ein Gottessymbol. Widderköpfe sind ein häufiges Motiv in der christlichen Bildplastik an Torbogen, Kapitellen, Konsolen, aber auch in der Heraldik. Der Widder gilt als Symbol für Christus und ist auch Ausdruck der Überwindung und der dargebrachten Opfer.
Der mittelalterliche Adel bevorzugte gerne starke Tiersymbole als Zeichen von Macht und Kraft.
Er kann aber auch in der Personifizierung d.h., in der künstlerischen Gestalt einer Person mit menschlichen Zügen dargestellt werden. Die menschlichen Eigenschaften können sich z.B. in Form der Bildplastik ausdrücken.

Standortbestimmung des Schlusssteines

Schlussstein über dem Kellereingang der ehemaligen Bäckerei Brecht von 1577

Es ist zu vermuten, dass es neben der Burganlage (Mottenburg) in den Stegwiesen des 12.-14. Jahrhunderts auch im mittelalterlichen Ortskern von St. Leon noch Wohnplätze des Ortsadels gab.
Sowohl im 30-jährigen Krieg als auch im Polnisch-/Französischen Krieg (1733/34) war der Ort St. Leon niedergebrannt worden. Ursprüngliche Gebäudeteile, die teilweise noch zu erkennen waren, gingen bei Abbrucharbeiten in den vergangenen Jahren verloren.

Wiedemannsche Haus, St. Leon, Marktstrasse

Die Fundstelle des Widderkopfes war im Gebäude Markstraße Haus Nr. 47 (Wiedemann Wilhelm). Ob der Schlussstein dort im Gebäude verbaut war oder dort nur neue Verwendung fand, lässt sich nicht mehr aufklären.
Der Stein kann jedoch weder von der alten Burganlage in den Stegwiesen noch aus dem abgegangenen Klosterstift „St. German“ (Kloster St. Magdalena um 1220 bis 1227) in den Weihergärten sein. Dort gab es keinen Bezug zu einem Widder.

Germanisches Runenzeichen, Steinmetzzeichen, Hausmarke und Hofmarke

Steinmetzzeichen ?

Aber auch das Ritzsymbol am Schlussstein unten links gibt uns Rätsel auf: Zum Beispiel findet sich in Östringen auf einem Torschlussbogen ein ähnliches Zeichen mit der Jahreszahl 1778. Wogegen, der Schlussstein mit Widderkopf keine Jahreszahl trägt.

Warum soll im 18. Jahrhundert in St. Leon ein Torschlussstein einen Widderkopf tragen? Hat dieses Zeichen eine andere Bedeutung? Der uns bekannte Widderkopf ist nicht vergleichbar mit den Neidköpfen, Fratzensteinen oder Zunftsteinen. Auch gab es als Gastwirtsschaften neben Löwen, Lamm, Ritter, Engel, Ochsen, Hirsch, Pflug, Adler etc. kein Gasthaus zum Widder. Auch im näheren Einzugsbereich um St. Leon-Rot finden sich außer Neidsteinen, Fratzensteinen und Zunftzeichen keinen ähnlichen Torschlussstein wie der Widderkopf.

War der Widderkopf als Wappen des Ritters Albert von St. Leon das Familiensymbol derer von „Sancto Leone“, könnte doch folglich auch das Ritzsymbol die „Haus- oder Hofmarke“ darstellen.
Bewahrheitet sich nach all den Erkenntnissen, dass der Widderkopf als Torschlussstein aus dem 13. Jahrhundert stammt und das Symbol (und auch das Siegel) des Adligen und Ritters Albert von Sancto Leone darstellt? Gibt es demnach einen Zusammenhang zwischen dem Siegel von 1289 und dem Widderkopf als Torschlussstein?

Was waren Haus- oder Hofmarken?

Aus vorchristlicher Zeit stammt der Brauch, das Haus-/Hofgut mit „Runen“ kenntlich zu machen. Die Hausmarke ist ein Eigentumszeichen, bzw. auch Sippenzeichen. Jede Person bedurfte eines eigenen Zeichens. Es kann als Namenskürzel, als Signet der Unterschrift, insbesonders beim Ritteradel gedeutet werden. Handelt es sich bei dem Steinzeichen um die germanische Rune „Not“? Die Rune „Not“, im altnordischen Runenalphabet bezeichnet „große Kraft, Erfindungsgabe, Leidensfähigkeit von Neid und Furchtlosigkeit“.
Der aufmerksame Leser unseres Heimatbuches „St. Leon-Rot – damals und heute“ von 2004 erfährt auf Seite 97/98, dass bis weit ins 18. Jahrhundert große Teile der Bevölkerung von St. Leon-Rot des Lesens und Schreibens unkundig waren. Die meisten Bürgerinnen und Bürger unterschrieben Verträge und Vereinbarungen noch mit einem „Beizeichen“.
Die Beizeichen waren vielfältiger Art, ersetzten die heutige Unterschrift, und deuteten meist auf den Beruf des Unterzeichnenden hin.

Abschließend ist festzuhalten: Der Verfasser dieses Artikels hat viele Quellen und Erkenntnisse aus der Literatur hinzugezogen. Auch wenn die Herkunft und die Bestimmung der Bildplastik (Widderkopf) auf dem Torschlussstein nicht mit Sicherheit geklärt werden kann, so kam der Verfasser schlussendlich zu dem Ergebnis, dass der Torschlussstein aus dem ehemaligen Haus Wiedemann in der Marktstraße mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit in Zusammenhang mit dem Ritter Albert von St. Leon steht.

Text: Willi Steger
Bildredaktion: Franz Stoll