St. Leoner Sagenkranz
Eine Sammlung örtlicher „St. Leoner Geschichten und Sagen“ der Vergangenheit.
Von Generation zu Generation sind in allen Kulturkreisen wichtige Ereignisse der Vergangenheit mündlich überliefert worden. So auch verschiedene Mythen und Sagen der Ortsgeschichte von St. Leon.
Der Wahrheitsgehalt solcher Überlieferungen lässt sich nur schwer nachweisen. Was wurde hinzugefügt, weggelassen, verändert oder einfach nur ausgeschmückt, um der Geschichte mehr Nachdruck und Spannung, eine andere Richtung zu geben.
Aber trotz alledem sind sie ein wichtiger Baustein, um unsere Vergangenheit und das Leben unserer Vorfahren besser kennenzulernen und zu verstehen.
Auch St. Leon hat einen kleinen Sagenkranz, dessen Existenz wir zwei Heimatforschern verdanken. Zu einem, dem Lehrer Oskar Steinhart, der im Jahre 1935 die erste Ortschronik St. Leons verfasste. Zum anderen, dem St. Leoner Klaus Tropf, der diese „Sagensammlung“ über Jahre in Interviews gesammelt und vervollständigt hat.
Dass Sagen oft einen realen geschichtlichen Hintergrund haben, zeigt folgende Geschichte aus St. Leon:
Seit unvordenklichen Zeiten schon erzählte man sich die Sage vom Königsgrab mit dem silbernen Sarg, das sich im Gewann Hahnacker befände. Die Bauern, die dort Äcker hatten, bekamen oft „Mores“, wenn sie nach Einbruch der Dunkelheit auf diesen Äckern noch zu tun hatten und man erzählte sich allerhand schauerliche Geschichten.
Im Zuge des Autobahnbaues wurden dann 1936 in diesem Gewann neuen mittelalterliche Gräber entdeckt. Es waren Männer- und Frauengräber.
Der Schädel eines Mannes zeigte auf der linken Seite vom Stirnbein bis zur Hinterhauptnaht eine klaffende Wunde, die wohl von einem Schwert oder Beil herrührte.
Mit der Entdeckung der Gräber verstummten dann auch die Erzählungen vom Königsgrab mit dem silbernen Sarg.
siehe auch: St. Leon-Rot, Das Heimatbuch 2004, S. 496
Mit dem Abbruch des alten Rathauses [1] an der Kirche verschwand jedoch nicht die Sage um den „Schwarzen Mann“, der aufs Engste mit diesem Gebäude verbunden ist.
Der Schwarze Mann soll im Rathaus seine Bleibe gehabt haben und insbesondere nachts sein Unwesen getrieben haben, indem er den Vorbeigehenden Angst und Schrecken einjagte. Dementsprechend wurde auch sein Aussehen geschildert: ganz dunkel gekleidet, mit großem schwarzem Schlapphut und pechschwarzem Haar, schmalem Gesicht, schwarzen stechenden Augen und großer, hagerer Gestalt, so dass es ihm ein Leichtes war, zu nächtlicher Stunde durch die Fenster der Häuser in die Stuben zu schauen.
Zu Lebzeiten soll er von Beruf Metzger gewesen sein und hatte mehrmals die Aufgabe, verwundete Soldaten [2] zu pflegen, die eben im alten Rathaus notdürftig untergebracht waren.
Als ihm einmal das Fleisch ausgegangen sei, soll er den Soldaten Fleisch von einem verstorbenen Kameraden vorgesetzt haben. Zur Strafe dafür fand er nach dem Tode keine Ruhe und musste an dem Ort seiner Schandtat umgehen.
Großes Leid soll der Schwarze Mann dann jedoch niemandem zugefügt haben, sondern er begnügte sich meist damit, die Leute durch sein Auftauchen ordentlich zu erschrecken. Er scheint sogar einen besonderen Humor besessen zu haben, da von ihm berichtet wird, daß er den Schritt der zu später Stunde vom Wirtshaus heimkehrenden Männer dadurch beschleunigte, daß er ihnen mit einem Hammer auf die Zehen schlug.
Als sich einmal junge Burschen auf der Rathaustreppe niederließen und zum Beweis dafür, daß sie den schwarzen Mann nicht fürchteten, ihr mitgebrachtes Vesper verzehren wollten, öffnete sich die Rathaustür, und der Schwarze Mann stand vor ihnen. Die vorher so Mutigen flüchteten so schnell sie konnten, wobei der sie verfolgende Unhold dafür sorgte, daß sie nicht so bald zu rennen aufhörten.
Als das alte Rathaus abgerissen wurde, soll auch der Schwarze Mann erlöst worden sein, jedenfalls wurde er seitdem nicht mehr gesehen. Manche wollen damals noch beobachtet haben, wie er das Bachgässel hinuntergegangen und in der Bachniederung der Hofwiesen verschwunden sei.
[1] 1913
[2] Das alte Rathaus war einige Male als Lazarett eingerichtet, so während des spanischen Erbfolgekrieges (1701-1714), bei dem auch unsere Gegend nicht ganz unverschont blieb und im Jahre 1744
siehe auch: St. Leon-Rot, Das Heimatbuch 2004, S. 496
Als die Truppen des Zar Alexander I.[1] während der Befreiungskriege[2] gegen Napoleon in St. Leon[3] Quartier bezogen, trug sich folgende Begebenheit zu:
Es war zur Zeit der „Heuet“ (Heuernte), und unser Dorf war voll von russischen Soldaten. Die verängstigten St. Leoner Mädchen und Frauen (ge)trauten sich nur noch gruppenweise ins Feld zu gehen.
Mit Rechen bewaffnet wollte eine Gruppe von Mädchen über die „Horschbrücke“ zum Heuwenden gehen, als sie die Brücke schon passiert hatten, bemerkten sie erst und zu spät, daß sich darunter badende Russen, – Mongolengesichter und Schlitzaugen lugten zwischen den Brückenbohlen hervor – verbargen. Von panischer Angst ergriffen stoben sie davon und ließen Rechen und Heu mal gut sein.
Was nun weiter geschah bleibt der ausschweifenden Phantasie des geneigten Lesers vorbehalten. Die Russen eilten den Mädchen nach, einige St. Leonerinnen wurden geschändet?, oder sie kamen mit dem Schrecken davon.
[1] 1801-1825
[2] Okt. 1813 Völkerschlacht bei Leibzig, Napoleon wurde Besiegt. 1814 große russische Truppendurchmärsche
[3] Am 5.2.1814 Kosaken in Kronau einquartiert, 1816 auch. Nicht unmöglich, dass in den Jahren 1806-1812 russische Truppen mal in St. Leon gewesen waren.
Amerkung: Text aus Privatarchiv wörtlich übernommen.
Der junge Johann Adam Knopf wurde mit 15 Jahren auf dem Feld seiner Eltern von französischen Soldaten nach Philippsburg in die Reichsfestung verschleppt. Als Napoleon nach Rußland [1] zog, musste der junge Knopf, wie viele andere Badener, den Kriegszug mitmachen.
Nach der Niederlage war er 1812 beim verhängnisvollen Rückzug über die Beresina [2] dabei. Nur durch eine glückliche Fügung – er schloss sich einem Tambourmajor [3] an – überstand er das russische Massaker.
Über Jahre hatte man keine Nachricht von ihm. Eines Abends zur Adventszeit, als die Herdtüren offen waren, um die dunkle Küche zu erhellen, sprach man in der Familie Bechberger gerade von ihm. (Er war von der Familie Bechberger adoptiert, Großvater der Erzählerin?): Ob denn der Johann Adam noch am Leben sei?! In dem Moment ging die Tür auf, ein Mann trat herein mit (russischen) Filzstiefeln an den Füßen und gab sich als gesuchter Johann Adam Knopf zu erkennen.
Die Freude um das Wiedersehen mit dem lang vermissten war groß.
Doch war Johann Adam von einer „siechen Krankheit“ befallen, von der er sich leider nicht mehr erholte. Er starb im Hause von Friedrich Bechberger in der Häuserlochstraße.
[1] 1812 nahmen badische Truppen (7000 Badener) am Russlandfeldzug teil, unter Karl im 9. Korps
[2] siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/Schlacht_an_der_Beresina
[3] Auch Korpsführer genannt, führt in einem Spielmannszug die Musiker an.
Die Großeltern mütterlicherseits des Erzählers (Hermann Bender) sollen einen Knaben als eigen aufgenommen haben. Es sei ein Emigrant aus der französischen Revolution gewesen. Sie wohnten neben dem Adler.
Später kam eine adelige Herrschaft mit einem „Coupe“ angefahren. Sie stieg im Löwen ab. Nachher fragte sie den Buben, ob er nicht mit ihnen wollte. Sie nahm ihn mit ins österreichische Land. Man hörte nichts mehr von ihnen. Später sei eine Zuschrift aus Österreich gekommen, dass der Pflegesohn gestorben ist, und eine testamentarische Vermachung an sie hinterlassen habe von 2 Millionen Kronen. Der Vater hat dieses nicht angenommen, weil er es als Unrecht ansah.
Dieser Waldpfad verläuft in Richtung Waghäusel. Es soll sich dort folgendes zugetragen haben:
Einst liebte eine hiesige Müllerin ihren Mahlburschen mehr als ihren Müller. Eines Tages schickte sie ihren Mann noch abends spät nach Waghäusel (zum Fürstbischof), um dringende Geschäfte zu erledigen.
Aber auch ihren Liebling schickte sie hinterdrein, mit dem Auftrag, seinen Herren zu beseitigen. Der Mord wurde ausgeführt und die Leiche im Wald verscharrt.
Eine Steinplatte und ein Kreuz sollen an der Stelle hiervon Kund gegeben haben. Die Steinplatte soll später von Andreas Gottselig vom Walde heimgeholt und als Ofenplatte benutzt worden sein.
Von dem Flurnamen „Bettelmannseck“ erzählen die Leute folgende Geschichte. Heute sagt man noch hier zu einem Handwerksburschen „Bettler“oder „Bettelmann“.
Vor etwa 200 Jahren kam ein Bettelmann ins Dorf und stahl in der Mühle heimlich sogenannte „Billen“. Es waren eiserne Werkzeuge, womit man die Mühlsteine mit Rillen versehen hat. Der Diebstahl wurde jedoch erst entdeckt, und man verfolgte den vermutlichen Dieb. Derselbe floh ins Feld und warf den gestohlenen „Billen“ wieder weg. Er wurde eingeholt und im alten Rathaus eingesperrt.
Am nächsten Morgen fand man ihn tot vor. Er hatte seinem Leben durch Erhängen ein Ende gemacht. Man lud ihn auf einen Karren, führte ihn zum Dorf hinaus und begrub ihn als Selbstmörder südlich von St. Leon an einem Waldeck.
Der Wald wurde inzwischen abgeholzt. Abergläubige ältere Leute sollen heute noch etwas „Mores“ (Angst) haben, wenn sie ins Bettelmannseck abends zum Feld wollen.
In einem gut katholischen Dorf der Rheinebene brauchte sich der Pfarrer nie über mangelnden Kirchenbesuch zu beklagen. Die Leute gingen fleißig in die hl. Messe. Einige waren jedoch auch dabei, die den Kirchgang zum willkommenen Anlass nahmen, der anstehenden Arbeit in Haus und Hof zu entfliehen. So gab es ein paar Einwohner, die immer dann, wenn die Feldarbeit am Größten war, das Bedürfnis verspürten zur Kirche gehen zu müssen.
Einer dieser scheinfrommen Drückeberger trieb es jedoch einmal auf die Spitze, als er nach der Kirche fragte: „Leit, hätt ihr mi greine sehe unner dä Wandlung?“ Damit war er aber dann doch endlich durchschaut und der Spott war ihm fortan sicher.
Eine Vertiefung im Wald bei St. Leon an der Hexenblättelallee (im Lußhardtwald) heißt noch heute das „Dattelkernloch“. Man erzählt sich darüber folgende Geschichte:
Darin soll einst ein Räuber mit seinem Kumpan gehaust haben. Den Marktweibern, die durch den Wald gehen mussten, um nach Speyer zu gelangen, nahm er des öfteren ihre Waren ab. Manchmal ließ er sie auch ungeschoren weiterziehen, befahl ihnen jedoch, ihm auf dem Rückweg vom Markt Dinge mitzubringen, die er gerade brauchte. Als ihm so einmal auch Schuhnägel mitgebracht wurden, soll er diese der armen Frau, die sie mitgebracht hatte, zum Dank in den blanken Hintern geschlagen haben. Ein andermal fing er in dem Wald einen Schneidergesellen ein, der auf der Walz war. Diesen zwang er, ihm die Hosen zuflicken. Als er damit fertig war, wurde er von Dattelkern mit den Füßen nach oben an einen Baum gehängt, direkt über einem Ameisenhaufen. Zu allem Übel steckte Dattelkern dem Schneider auch noch ein Holz in den Mund, so daß ihm die Ameisen in den Mund laufen konnten.
Als dieses Treiben den St. Leonern zu bunt wurde, taten sich einige beherzte Männer zusammen und es gelang ihnen, Dattelkern auf der „Steinernen Brücke“ gefangen zu nehmen.
Nachdem er zunächst in der „Betzenkammer“ in alten Rathaus unter der Treppe eingesperrt war, wurde er der bischöflichen Herrschaft übergeben und kam für den Rest seines Lebens ins Gefängnis
siehe auch: St. Leon-Rot, Das Heimatbuch 2004, S. 496
Die Geschichte des „schlechten Max“
Ein St. Leoner namens Max Steger, der sehr geschäftstüchtig war, sollte im Auftrag verschiedener St. Leoner Tabakbauern nach den 1840er Jahren eine Fuhre, (Wagenladung) Tabak nach Österreich-Ungarn transportieren und dort verkaufen.
Max zog mit seinem Planwagen von den besten Wünschen der St. Leoner begleitet unter großem Hallo das Dorf hinaus.
Er kam jedoch von seiner Reise nie mehr zurück und auch auf jegliches Lebenszeichen von ihm wartete man vergebens. Entweder hatte er die Wagenfuhre Tabak in Ungarn unterschlagen und den Erlös in seine eigene Tasche gesteckt, oder er ist in den Weiten der ungarischen Tiefebene Räubern und Dieben in die Hände gefallen.
Aber die Geschichte hatte noch für seine Familie in St. Leon ein böses Nachspiel: Seine Familie hatte für den Schaden aufzukommen und wurde seitdem s’schlechte Maxe genannt.
Zu einer Zeit, als man vom Sexualkundeunterricht in der Schule noch nicht zu träumen wagte, trug sich folgendes zu:
Eine 16-jährige, ihren Eltern und Verwandten bekannt als brav und sittsam, fing an zu „berschtle“, hatte also ihren ersten Freund. Das Techtelmechtel zwischen den beiden dauerte aber noch keine fünf Wochen und das Mädchen war schwanger. Als es sich seinen Eltern offenbarte, waren diese darüber natürlich gar nicht erfreut und machten ihr Vorwürfe: So jung und unverheiratet könne man sich doch nicht einfach mit einem Kerl einlassen. Darauf das unschuldige Mädchen: „ha, ich hebb halt g’mant, dess g’heert zum Poussiere däzu“.
Im Lußhardtwald gibt es noch heute versteckte Plätzchen, an denen köstliche Waldhimbeeren gedeihen und diese werden von Kennern auch gerne gepflückt.
Nachdem in einem der Walddörfer ein fröhlicher Zecher mal wieder recht „früh“ von einem „Übersitzer“ in der Wirtschaft nach Hause kam, sah er, dass seine Frau schon aufgestanden war. Verständlicherweise hatte er ein schlechtes Gewissen und traute sich kaum ins Haus. Bevor er in die Küche zu seiner Frau ging, griff er sich in der Veranda noch schnell ein Milchkännchen. Als ihn seine bessere Ehehälfte fragte, wo er so früh herkomme, antwortete er geistesgegenwärtig: „Fraa, ich kumm vum Imbeerzopfe, s’hott awer nix g’hatt“ und legte sich nach der anstrengenden Sucharbeit noch für einige Stunden ins Bett.